Mandanteninformationen für Oktober 2020

11. Februar 2021

In-App-Verkäufe: Wer ist umsatzsteuerrechtlicher Leistungserbringer?

Das Finanzgericht Hamburg (FG) hat sich mit der Frage beschäftigt, wer umsatzsteuerrechtlicher Leistungserbringer bei sogenannten In-App-Verkäufen ist und wann eine Dienstleistungskommis­sion vorliegt. Von einer solchen spricht man, wenn ein Unternehmer (Auftragnehmer) in die Erbring­ung einer sonstigen Leistung eingeschaltet wird und dabei im eigenen Namen und für fremde Rech­nung handelt.

Im Streitfall ging es um eine Klägerin, die Spiele-Apps für mobile Endgeräte wie z.B. Smartphones oder Tablets entwickelte und vertrieb. Sie nutzte für den Vertrieb u.a. A, eine Plattform des Unter­nehmens B, die bis zum Jahr 2014 von C betrieben wurde. Die App-Käufe rechnete C mit der Klägerin monatlich ab. Er behielt eine Provision von 30 % ein. Die Beteiligten stritten darüber, wer umsatzsteu­errechtlicher Leistungserbringer war.

Die Klägerin vertrat mit Blick auf die Ladenrechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Auffas­sung, dass eine Dienstleistungskommission vorliege, da sie Leistungen an C erbringe, der seinerseits Leistungserbringer gegenüber den Endkunden sei.

Die Klage hatte Erfolg. Die Klägerin habe mit der Freischaltung der elektronischen Daten in der Spiele-App des Nutzers und in ihrer Spieledatenbank eine sonstige Leistung erbracht, allerdings gegenüber C, der seinen Sitz nicht in Deutschland habe. C sei im eigenen Namen als Betreiber der Internetseite aufgetreten.

Die Ladenrechtsprechung des BFH besagt, dass derjenige, der im eigenen Laden Ware verkauft, umsatzsteuerrechtlich als Eigenhändler und nicht als Vermittler gilt. Diese Rechtsprechung ist auch bei Leistungserbringungen über das Internet anzuwenden, da ein Betreiber einer Internetseite mit einem Unternehmer, der im eigenen Laden Ware verkauft, vergleichbar ist. Etwas anderes gilt nur, wenn das Handeln in fremdem Namen nach außen deutlich gemacht wird. Im Streitfall war jedoch für den Käufer erkennbar, dass A bzw. sein Betreiber als Verkäufer auftraten.

Hinweis: Das Verfahren ist beim BFH anhängig. Der Streitfall betrifft die Rechtslage bis zum 31.12.2014. Das FG musste daher nicht auf die seit dem 01.01.2015 geltende Neuregelung für elektronische Dienstleistungen eingehen.

 

Einkommensteuer: Widerlegung des Anscheinsbeweises für eine private Kfz-Nutzung

Hat man ein Fahrzeug im Betriebsvermögen, das nicht gerade ein Nutzfahrzeug ist, und führt für die­ses kein Fahrtenbuch, so geht das Finanzamt davon aus, dass dieses Kfz auch privat genutzt wird. Diesen Anschein kann man natürlich ganz einfach durch ein Fahrtenbuch widerlegen, in dem alle Fahrten aufgezeichnet sind und laut dem keine privaten Fahrten getätigt wurden. Aber wie ist es, wenn kein Fahrtenbuch geführt wurde? Hat man dann trotzdem eine Möglichkeit, dem Finanzamt das Gegenteil des Anscheins zu beweisen? Das Finanzgericht Niedersachsen (FG) musste darüber entscheiden.

Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG, deren alleiniger Kommanditist X ist. X nutzte im Jahr 2013 einen im Vorjahr angeschafften Kastenwagen für betriebliche Zwecke. Ein Fahrtenbuch wurde hierfür allerdings nicht geführt. Für die Jahre 2012 bis 2014 wurde eine Betriebsprüfung vorgenommen. Da­bei kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass aufgrund der fehlenden Fahrtenbücher eine private Nut­zung nicht ausgeschlossen werden könne. Somit sei die private Kfz-Nutzung des betrieblichen Fahr­zeugs mit der 1-%-Regelung zu ermitteln. Allerdings verfügte X in seinem Privatvermögen auch über ein Kfz. Nach Ansicht des Prüfers erschütterte dies den Anscheinsbeweis jedoch nicht, da das Fahr­zeug weder in Bezug auf den Gebrauchswert noch auf den Status mit dem betrieblichen Fahrzeug vergleichbar sei.

Das FG gab dem Kläger recht. Zwar ist die private Nutzung eines betrieblichen Kfz mit der 1-%-Rege­lung zu berechnen. Allerdings setzt dies auch eine tatsächliche private Nutzung des betreffenden Fahrzeugs voraus. Nach allgemeiner Lebenserfahrung werden dienstliche oder betriebliche Fahr­zeuge, die auch zu privaten Zwecken zur Verfügung stehen, tatsächlich auch privat genutzt. Dafür spricht nach Ansicht der Rechtsprechung der Beweis des ersten Anscheins. Der Anscheinsbeweis kann allerdings durch einen Gegenbeweis entkräftet oder erschüttert werden – z.B. durch ein ständig verfügbares, in Status und Gebrauchswert vergleichbares Fahrzeug. Dies war der Fall. Vergleicht man die streitbefangenen Fahrzeuge im Hinblick auf Status (im Sinne von Prestige) und Gebrauchswert (im Sinne von Eignung für bestimmte Funktionen und Zwecke wie Motorleistung, Aus­stattung), so ist nach Überzeugung des Gerichts mindestens von einer Vergleichbarkeit auszugehen. Daher ist kein Privatanteil zu berücksichtigen.

Hinweis: Wir empfehlen Ihnen, ein Fahrtenbuch zu führen. Welche Anforderungen dafür erfüllt werden müssen, erklären wir Ihnen gerne.

 

Verfahrensrecht: Hosentasche als Ladenkasse

Nimmt man im Rahmen seines Unternehmens Bargeld ein oder gibt es aus, ist man per Gesetz ver­pflichtet, dies aufzuzeichnen. Denn vor allem, wenn man es mit seinem privaten Bargeld mischt, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Aber wie ist es, wenn man keine „richtige“ Kasse hat? Muss man dann auch Aufzeichnungen machen und ein Kassenbuch führen? Das Finanzgericht Hamburg (FG) musste in einem solchen Fall entscheiden.

Der Antragsteller ist buchführungspflichtig und betreibt einen Nutzfahrzeughandel. Seine Umsätze unterlagen teilweise dem Regelsteuersatz und waren teilweise steuerfrei. Die Kunden zahlten größ­tenteils per Banküberweisung und im Übrigen bar. Bei einer Umsatzsteuersonderprüfung legte der Antragsteller weder Belege über Entnahmen oder Verbindlichkeiten noch Kasseneinzelaufzeichnun­gen vor. Die Bareinnahmen waren buchhalterisch über verschiedene Konten gebucht worden. Da keine Einzelaufzeichnungen vorlagen, konnte der Außenprüfer auch nicht nachvollziehen, woher ge­nau das auf dem Bankkonto eingezahlte Bargeld stammte. Es war für ihn somit nicht möglich, die in der Voranmeldung erklärten Umsätze zu überprüfen. Als Konsequenz erhöhte das Finanzamt die steuerpflichtigen Umsätze.

Die Klage vor dem FG war teilweise erfolgreich. Bei summarischer Prüfung hatte es ernstliche Zweifel an der Höhe der Hinzuschätzung. Allerdings war die Buchführung derart fehlerbehaftet, dass eine Hin­zuschätzung geboten war. Die Finanzbehörde kann die Besteuerungsgrundlagen schätzen, so­weit sie diese nicht ermitteln oder berechnen kann. Aufgrund der mangelbehafteten und nicht­nachvollziehbaren Buchführung des Antragstellers war das Finanzamt hier zur Schätzung befugt. Die Buchführung des Antragstellers war schon deshalb nicht ordnungsgemäß, da er trotz Vorlie­gens von Kasseneinnahmen und -ausgaben kein Kassenbuch führte. Es fehlte daher an der erforderlichen Kassensturzfähigkeit. Bezahlt ein Kunde seine Ware in bar, so sind diese verein­nahmten Gelder zwingend Betriebsvermögen, wobei „zur Not auch eine Hosentasche“ eine Kasse ist, die eine ordnungsgemäße Aufzeichnung erfordert. Allerdings korrigierte das Gericht die Höhe der Schätzung des Finanzamts. Es war eine gleichmäßige Aufteilung der hinzugeschätzten Umsätze auf steuerfreie und steuerpflichtige Umsätze vorzunehmen.

Hinweis: Wenn Sie unsicher sind, welche Aufzeichnungen Sie machen müssen, beraten wir Sie gerne.

 

Verfahrensrecht: Keine Pfändung der Coronasoforthilfe

Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, was da auf uns zukommt und welche Auswirkungen ein Virus auf unser Leben haben kann, und zwar neben unserem sozialen auch auf das wirtschaftliche Leben. Der Staat hatte für einige Bereiche beschlossen, dass Geschäfte geschlossen werden müssen oder Dienstleistungen nicht mehr angeboten werden dürfen. Als Ausgleich gab es von den Bundesländern bestimmte Soforthilfen, die die Unternehmen über Wasser halten sollten. Aber was gilt für die Sofort­hilfen, wenn das Finanzamt gegenüber dem Unternehmer noch Forderungen hat? Dies musste das Finanzgericht Münster (FG) entscheiden.

Der Antragsteller betreibt einen Reparaturservice und erzielt hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Aufgrund der Coronapandemie erhielt er keine Aufträge mehr. Daher beantragte er am 27.03.2020 beim Land Nordrhein-Westfalen eine Coronasoforthilfe von 9.000 € für Kleinstunternehmer und Solo­selbständige. Diese wurde mit Bescheid vom selben Tag auch bewilligt und auf das Girokonto des Antragstellers überwiesen. Für das Konto bestand allerdings eine Pfändungs- und Einziehungs­verfügung des Finanzamts wegen Umsatzsteuerschulden aus den Jahren 2017 bis 2019. Daher ver­weigerte die Bank die Auszahlung der Coronasoforthilfe. Der Antragsteller begehrte daraufhin die einstweilige Einstellung der Pfändung.

Das FG gab dem Antrag statt. Das Finanzamt musste die Pfändung des Kontos aufheben und eine weitere Kontopfändung bis zum 27.06.2020 einstellen. Es bestand ein Rechtsschutzbedürfnis, da die Coronasoforthilfe nicht von den zivilrechtlichen Pfändungsschutzregelungen erfasst wird. Die Vollstreckung und Aufrechterhaltung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung bedeutete einen un­angemessenen Nachteil für den Antragsteller, da die Bank aufgrund dessen die Coronasoforthilfe nicht auszahlte. Durch die Pfändung wird also der Zweck der Coronasoforthilfe beeinträchtigt. Sie dient nämlich zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 im Zusam­menhang mit der Coronapandemie entstanden sind. Nicht umfasst sind davon vor dem 01.03.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe oder etwa auch (Alt-)Steuer­schulden. Ein Nachweis über die Verwendung der Soforthilfe war nicht notwendig. Da die Soforthilfe mit Bescheid vom 27.03.2020 für einen Zeitraum von drei Monaten gewährt wurde, war die Vollstreck­ung bis zum 27.06.2020 einzustellen.

Hinweis: Gerne beantworten wir Ihnen alle Fragen zu Hilfen und Förderungen im Rahmen der Coronapandemie.

 

Betriebsstättenverluste: Kehrtwende beim Abzug finaler Verluste?

Grenzüberschreitende Sachverhalte sind per se mit einer höheren steuerlichen Komplexität behaftet als rein nationale. Das liegt u.a. daran, dass i.d.R. zwei bzw. mehrere unterschiedliche nationale Steu­ergesetze zu berücksichtigen sind. Dazu kommen ggf. noch die Regelungen der Doppelbesteuerungs­abkommen. Ein Thema ist jedoch seit jeher besonders komplex und vor allem wechselhaft, und zwar die sogenannten finalen Verluste bei ausländischen Betriebsstätten.

In einem vom Finanzgericht Niedersachsen entschiedenen Fall unterhielt eine in Deutschland ansässi­ge GmbH eine Geschäftsfiliale in Polen (Betriebsstätte). Die Filiale erwirtschaftete in den letzten Jah­ren stetig Verluste ohne realistische Chance auf einen Turnaround. Die Geschäftsführung beschloss, die polnische Filiale zu schließen und diese aufzugeben. Weitere unternehmerische Aktivitäten in Polen bestanden nicht und waren auch nicht geplant. Für die Betriebsstätte in Polen waren bis zu ihrer Schließung Verlustvorträge in Polen festzustellen, ebenso wie in Deutschland – vor dem Hinter­grund, diese mit möglichen Gewinnen in der Zukunft verrechnen zu können. Sobald die Filiale ge­schlossen wird, besteht diese Möglichkeit jedoch nicht mehr und die Verluste werden final.

Für die Frage, ob solche ausländischen finalen Verluste in Deutschland abgezogen werden können, hält die Rechtsprechung allerdings ganz unterschiedliche Antworten bereit. In der jüngeren Ver­gangenheit urteilten sowohl der Europäische Gerichtshof als auch der Bundesfinanzhof (BFH) ableh­nend. Im Jahr 2018 entschieden dagegen hessische Finanzrichter, dass ein Abzug möglich sei. Die­sem Duktus schlossen sich nun die niedersächsischen Richter an. Die Besteuerung nach der wirt­schaftlichen Leistungsfähigkeit verlange, dass finale Verluste aus dem EU-/EWR-Raum grenzüber­schreitend beim inländischen Stammhaus abgezogen werden könnten.

Hinweis: Entsprechende Fälle sollten in jedem Fall offengehalten werden. Derzeit sind beim BFH nämlich gleich fünf Verfahren anhängig, in denen es um vergleichbare Sachverhalte geht. Gege­benenfalls könnten die finanzgerichtlichen Urteile zu einer Rückkehr der Abzugsfähigkeit solcher Verluste führen.

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